THE SAME PROCEDURE AS EVERY YEAR
Die Gleichstellung der Weihnachtsfrau und des Weihnachtsmannes

KLUB DER POLNISCHEN VERSAGER
Freitag, den 3. Dezember 2004 um 20:00 Uhr
in der Torstr. 66, 10119 Berlin

GALERIE ZERO
am Freitag, den
10. Dezember 2004 um 20:00 Uhr
in der Köpenicker Strasse 4, 10997 Berlin

GALERIE DES SLUBFURTER INFORMATIONSZENTRUMS ZEIGT IM RAHMEN DES PROJEKTES SLUBFURT CITY?
am Freitag, den
31. Dezember 2004 um 20:00 Uhr
in der Grossen Scharrnstrasse 17a, Frankfurt/O

Galerie ZERO in Zusammenarbeit mit Slubfurt


Man kennt nur den Weihnachtsmann. Wie wäre es aber mit einer Weihnachtsfrau? Oder ist sie schon längst da und wird lediglich verschwiegen, vielleicht sogar verdrängt, um den Weihnachtsmann nicht zu gefährden?

„Die politisch korrekten Eurokraten schreiben vor, dass der Weihnachtsmann eine Frau sein muss!“ Diese angeblich neue Vorschrift stammt aus einer Pressemitteilung eines britischen Kaufhauskonzerns und entpuppte sich letztendlich als ein Marketingtrick.

Wie aber ist es nun um die Gleichstellung von Weihnachtsfrau und –mann bestellt? Kann sie dazu beitragen, kulturelle Vorurteile abzubauen oder bleibt sie einer dieser Euro-Mythen, erfunden zum schnöden wirtschaftlichen Nutzen?

Der Berliner Künstler Roland Schefferski versucht zusammen mit einer Handvoll Gleichgesinnter, die er zur Zusammenarbeit eingeladen hat, dieses Dilemma mit kreativen Beiträgen zu erörtern. „The same procedure as every year...“ heißt ihre gemeinsame Ausstellung.

Alle Jahre wieder zur Weihnachtszeit suchen Menschen Nähe und Geborgenheit. Und finden oft nur Distanz, Kälte, Konsumwahn – und den Weihnachtsmann! Und wo fühlt der sich geborgen? Ist der Weihnachtsmann, diese Symbolfigur unserer Wünsche und Sehnsüchte, selbst überhaupt fähig zu Gefühlen, Sinnlichkeit und Leidenschaft? Oder ist er ein emotionsloser Klotz? Schlägt er am Ende sogar seine Weihnachtsfrau? Hat er überhaupt jemanden - oder hat er etwas zu verbergen?

Die Gleichstellung der Weihnachtsfrau und des Weihnachtsmannes bedeutet die Antwort auf diese Fragen, die Befreiung von einer Illusion: Der vermeintlich geschlechtslose Rauschebart lässt die Hosen runter. In Assemblagen, Objekten und Bildern aus dem Tagebuch vom Weihnachtsmann von Helmuth Falk ist er sogar ein Joints rauchender Säufer. Falks witzige Werke lassen Weihnachten in einem nie gesehenen Licht erscheinen.

Warum sonst wird zwischen Marzipankartoffeln und Lametta nichts so konsequent ausgeklammert wie – Sex? Der Dildo unterm Tannenbaum jedenfalls ist ein Tabu, Erotik und Sinnlichkeit sind out in der beschaulichen Weihnachtsharmonie, die oft nur ein schön verpacktes, kitschiges Wunschbild ist, das mit der Realität – wie wir wissen – nicht viel zu tun hat. In Sachen Sex wird diese Diskrepanz am deutlichsten sichtbar!

Da sind zum Beispiel die gängigen Produkte der Porno - und Sexindustrie, die in Magazinen oder Filmproduktionen die Realität unserer Sexualität verfälschen, indem sie diese Realität mit Stereotypen manipulieren. Diese Vorgehensweisen unterscheidet sich nicht von denen der Werbeindustrie. Wir werden mit einer stetig anschwellenden Bilderflut konfrontiert. Es entsteht eine ritualisierte Bildersprache. Kann man dem entgegen wirken? Kann sie gebrochen werden, weil sie nicht adäquat ist? In den Arbeiten von Jan Poppenhagen, Roland Schefferski und Urban Art geht es um die Frage, inwieweit uns anstelle der Realität eine zum Event stilisierte, artifizielle Erotik vermittelt wird. Ist es noch möglich, etwa die Form des Pornofilmkonsums zu brechen? Zeigen uns die in einzelnen Pixel zerlegten erotischen Motive der Arbeiten von Urban Art eine dieser Möglichkeiten?

Bei der Standaufnahme von Poppenhagens „Girl, Boys and White Sofa” wird nur ein Ausschnitt eines Bildes gezeigt, das nicht manipuliert ist. Diese Langezeit-Installation ohne Schnitt, ohne Sound und Bewegung der Kamera ist eine neutrale Aufzeichnung ohne Wertung. Im Mittelpunkt steht das Marginale, das was normalerweise weggelassen wird. Es wird keine Action, sondern das Reale, Alltägliche gezeigt.

In seinen „Cuttings“ verweigert Schefferski dem Betrachter konkrete Images – ganz in der Tradition seiner Auseinandersetzung mit dem Thema Bild. Man sieht lediglich, dass die von ihm bearbeiteten Zeitschriftenseiten aus so genannten Herrenmagazinen stammen. Die bis auf einem schmalen Bildrand ausgeschnittenen erotischen beziehungsweise pornographischen Inhalte können aber zugleich zur Entstehung eigener Fantasiebilder abseits der Hochglanzerotik inspirieren.

Wie verhält es mit unseren Komplizinnen, den Frauen? Haben sie überhaupt noch eine Chance, sich in dieser künstlichen Welt zu behaupten? Es herrscht, mittlerweile auch in Polen, die Überzeugung, dass moderne Frauen entweder kampflustige Feministinnen oder befreite, ihre eigene Befriedigung suchende Karrieristinnen sein können. Zu den weiteren Phänomenen weiblicher Typenbildung zählen die Geschäftsfrauen, die „Barbies“ und die polnischen Superfrauen. Das Phänomen des letztgenannten Typus thematisiert Ela Jabloñska in ihren Fotografien „Gry domowe – Hausspiele“. Es ist eben nicht der Superman, sondern die Superfrau, die Tag für Tag ihre heroischen Taten – wie Kochen, Spülen, Waschen usw. – vollbringt. Neben ihrer beruflichen Arbeit führt sie nicht nur den Hauhalt und erzieht ihre Kinder, sie muss doch dabei Mutter, Ehefrau, Köchin, Putzfrau, Liebhaberin, Freundin, Hausfrau sein und dabei immer attraktiv.

Die Stellung und Rolle der Frau in der Gesellschaft beschäftigt auch Szymon Brodziak. In seinen Fotografien versucht er die Stereotypen der Frauendarstellung zu überwinden. Seine Inszenierungen spielen zwar teilweise mit Klischees, zeigen aber keine ästhetisierenden Nacktaufnahmen, die nur der Befriedigung der männlichen Bedürfnisse dienen könnten. Es ist eine Art Balanceakt zwischen gutem Geschmack und der gesellschaftlichen Gewohnheit, die die Frauen mit Würde überleben.

In den letzten Jahren kamen etliche Männer nach Polen auf der Suche nach einer geeigneten Lebenspartnerin – einer Ehefrau oder einfach einer geehelichten Haushaltshilfe. Immer mehr Frauen sind heute unabhängig und doch gibt es noch Frauen, die aus schlechter gestellten Verhältnissen kommen, und für die solch ein Mann die Befreiung aus ihrem Milieu und ihrer Armut bedeutet. Sucht der Mann aus dem Westen immer noch nach der Idealfrau – schön, hingebungsvoll, treu, fleißig und religiös? Erfüllen die jungen Polinnen diese Illusionen? Sind oder werden sie gute Ehefrauen sein? Solche Fragen stellt Anna Krenz in ihrer multimedialen Installation „Polish Wife“.

In ihrem Film „Fremde Freier“ will Judith Siegmund die Beschreibung von einer anderen Kategorie der Frau: Sexarbeiterinnen als Opfer auf dem üblichen Presse- und TV-Niveau vermeiden und lässt sie selbst entscheiden, wie sie ihre Arbeit darstellen. Lediglich mit ihrem Themenkomplex „Freier“ bestimmt Siegmund zum großen Teil den Gegenstand des Gesprächs. Ihre Fragen nach der Perspektive der Frauen auf ihre fremden Kunden ergibt sich aus der Situation an der deutsch-polnischen Grenze: 90 Prozent der Männer, die dort die Dienste der Sexarbeiterinnen aus vielen östlichen Länder in Anspruch nehmen, sind deutsch.

„Between, Bevor and After“ hat Michael Kurzwelly seine Video- und Fotoinstallation genannt. Damit wird aber kein sexueller Akt gemeint. Es ist ein Film über Langeweile, den Kurzwelly zusammen mit Fotos einer Familienidylle zeigt. Die gleichen, sich immer wiederholenden Bilder einer Zugreise kontrastieren mit statischen großformatigen Prints und spiegeln die typische, weihnachts-ähnliche Monotonie wider.

Das erste Beispiel einer Bildfolge in der Geschichte der Fotografie war das Ergebnis einer Wette, weil einer der Beteiligten nicht glauben wollte, dass ein galoppierendes Pferd jemals alle vier Hufen vom Boden weg hat. Die später folgenden Arbeiten des berühmten englischen Fotografen Eadweard Muybridge führten zur Einführung des Kinematografen. Zwei Bildfolgen von Muybridge dienen Waldemar Kremser als Vorlage seiner zwei Video-Loops „Püppchen“. Man kann nicht so richtig feststellen, ob die nackte Frau in einem und der nackte Mann in dem anderen Endlos-Film grade dabei sind aufzustehen oder sich hinzulegen. Kremser relativiert auf diese Weise den Ablauf einer einfachen Bewegung und eines noch immer gesellschaftlichen Tabu.

Obwohl sich diese Ausstellung bei der Thematisierung der erotischen oder sexuellen Aspekte des gesellschaftlichen Lebens nicht auf die traditionelle Darstellung eines überdimensionalen Busens oder erigierter Penisse beschränkt, soll sie trotzdem Spaß machen. Gleichzeitig ist sie ein Aufruf zum Handeln. Sie versucht eine formal und inhaltlich innovative Auseinandersetzung mit klassischerweise – nicht nur in der Weihnachtszeit – tabuisierten Themen zu führen, aus einer etwas ungewöhnlichen Perspektive. Dabei werden auch wichtige soziale Aspekte des modernen Gesellschaftslebens zum Ausdruck gebracht.


KünstlerInnen der Ausstellung >>>

Szymon Brodziak: ESC - Fotografien
Helmuth Falk: Aus dem Tagebuch vom Weihnachtsmann - Objekte
Ela Jablońska: Gry domowe - Fotografien
Anna Krenz: Polish Wife - Fotografien, Objekte
Waldemar Kremser: Püppchen - Zwei Video-Loops
Michael Kurzwelly: Between, Bevor and After - Video- und Fotoinstallation
Jan Poppenhagen: Girl, Boys and White Sofa - Video
Roland Schefferski: Cuttings
Judith Siegmund: Fremde Freier - Video
Urban Art: Pixel Pictures - Bilder

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